In einem Moment steht man noch im warmen Sonnenlicht auf einem Schulhof, im nächsten Moment steigt man eine Kellertreppe herab und befindet sich in einer nasskalten, unterirdischen Welt, in der die Zeit stehengeblieben scheint. Ein Besuch im unterirdischen Hilfskrankenhaus in Gunzenhausen ist Weltgeschichte hautnah; ein übrig gebliebener Zeuge des Kalten Krieges, der auch im Fränkischen Seenland präsent war.
1963. Um den Weltfrieden steht es nicht so besonders gut. Der 2. Weltkrieg hat große Teile in Schutt und Asche gelegt, Atombomben fielen über Japan, während der Kuba-Krise haben alle den Atem angehalten, eine Mauer teilt Deutschland und die Stimmung zwischen den Westmächten und dem Ostblock ist zum Zerreißen gespannt. Wir befinden uns mitten im Kalten Krieg, die Welt sitzt auf einem Pulverfass, das jeden Moment explodieren könnte.
In diesem Jahr beginnt in Gunzenhausen der Bau des atomsicheren unterirdischen Hilfskrankenhauses, zwei Jahre später ist es einsatzbereit: 4000 Quadratmeter, 600 Betten, eine eigene Stromversorgung, ein ausgeklügeltes Luftfilterungssystem. Es ist das erste vollausgestattete und atombombensichere Krankenhaus in der ganzen Bundesrepublik und soll im Falle eines nuklearen Angriffs Patienten aus dem Großraum Nürnberg versorgen.
Über Jahrzehnte wurde der Bunker für den Ernstfall bereitgehalten. Theoretisch hätte ja es binnen weniger Stunden einsatzbereit sein müssen – zum Glück ist dieser Fall jedoch nie eingetreten.
Die Folge ist, dass das Krankenhaus heute noch fast im ursprünglichen Zustand zu besichtigen ist. Patientenzimmer, Küche, Büroräume, OP-Saal: Das alles ist nahezu vollausgestattet erhalten. Die Lagerräume sind bis obenhin mit Kisten vollgestapelt, in denen sich Kleidung, Bettwäsche und Hilfsgüter befinden. Ein verlassener und irgendwie vergessener Ort.
Naja, vergessen zum Glück nicht so ganz. Die Stadt Gunzenhausen bietet regelmäßig Führungen durch den Bunker an, die wie eine Zeitreise in die Sechziger Jahre anmuten. Die Annehmlichkeiten eines modernen Krankenhauses fehlen hier natürlich komplett – man befindet sich ja irgendwie im Krieg und daher auch mehr in einem Feldlazarett.
In einem Schlafsaal sollten bis zu 36 Patienten unterkommen, aufgeteilt in 18 Stockbetten. Aufenthaltsräume oder Speisesäle gibt es nicht; außerdem reichen die Sanitäreinrichtungen nicht ansatzweise aus. Über Entsorgung – egal ob von Essen oder verstorbenen Patienten – hat man sich bei der Planung des unterirdischen Krankenhauses anscheinend keine Gedanken gemacht. Und die beiden einzigen Fluchtwege aus dem Bunker sind mehr Todesfallen als rettende Ausstiege.
Nach der rund anderthalbstündigen Führung steigt man die Kellertreppe wieder nach oben ins gleißende Sonnenlicht auf dem Schulhof der Gunzenhäuser Berufsschule. Erleichterung macht sich breit: Darüber, aus dem feuchtkühlen Krankenhaus-Keller herauszukommen, und auch darüber, dass die Einrichtung glücklicherweise nie genutzt werden musste.
- Informationen und Bilder zum unterirdischen Hilfskrankenhaus unter www.hilfskrankenhaus.gunzenhausen.de
- Eine Führung dauert etwa 1,5 Stunden und kostet 10 Euro pro Person. Gruppenführungen sind auf Anfrage ebenfalls möglich
- Die nächste Führung ist am Mittwoch, 16. August 2017